Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Premierminister Michel Barnier haben derzeit ähnliche Probleme: Sie wollen politisch gestalten, bekommen dafür aber kein Geld (mehr) vom Parlament. Am Dienstagabend lehnte die Nationalversammlung in Paris den ersten Teil des Haushaltsplans 2025, der die Einnahmenseite betrifft, mit großer Mehrheit ab. Das Regierungslager und die Abgeordneten des rechtspopulistischen Rassemblement National ließen das Gesetz mit 392 zu 192 Stimmen durchfallen. Es war die Quittung für eine zweiwöchige Debatte, in der die Linksallianz, die den größten politischen Block im Parlament stellt, den Regierungsentwurf mit Änderungsanträgen in ihrem Sinne umgestaltet hatte.
Eine Vermögensteuer für Milliardäre, eine Steuer auf Superdividenden von Großkonzernen, eine Steuer für multinationale Konzerne und höhere Steuern für Digitalkonzerne fanden so ebenso Eingang in den Entwurf wie eine neue Steuer für besonders laute Motorräder. Die von der Regierung geplante höhere Steuer auf Strom- und Gasheizungen strichen die Abgeordneten dagegen ersatzlos.
Deutschland und Frankreich: mit oder ohne Haushalt?
Der Staatshaushalt ist das in Zahlen gegossene Regierungsprogramm. Das fehlt Berlin und Paris ausgerechnet in turbulenten Zeiten des Umbruchs. Während Michel Barnier trotz seiner Niederlage noch auf einen regulären Haushalt 2025 hoffen kann, wird es diesen für die amtierende Minderheitsregierung in Berlin nicht mehr geben. Allenfalls ein Nachtragshaushalt für 2024 könnte noch vor der Auflösung des Bundestages mit Unterstützung der Opposition beschlossen werden.
Dieser ist nötig geworden, weil der Regierung in diesem Jahr noch Geld fehlt. 3,7 Milliarden Euro Mehrausgaben beim Bürgergeld und mehr als 10 Milliarden Euro für den Mehrbedarf bei der Förderung erneuerbarer Energien müssen gegenfinanziert werden. Bis zum Jahresende muss die Regierung das Geld auftreiben oder mit einer Haushaltsperre reagieren.
Berlin und Paris: geschwächt in Brüssel und Washington
Wenn Donald Trump am 20. Januar zum zweiten Mal ins Weiße Haus einzieht, ist der Bundestag aller Voraussicht nach aufgelöst. Knapp fünf Wochen später, am 23. Februar, sollen die Deutschen dann ein neues Parlament wählen. Die Regierungsbildung könnte sich – je nach Wahlausgang – bis weit ins Frühjahr hineinziehen.
Zwar hätte Deutschland auch nach Auflösung des Parlaments durch den Bundespräsidenten Kanzler und Minister, aber nur noch geschäftsführend. In der Übergangsphase dürfen sie keine grundlegenden oder weitreichenden Entscheidungen mehr treffen.
Erst eine neue Regierung wird mit der neuen Trump-Administration verhandeln oder Entscheidungen auf EU-Ebene vorantreiben. Bis dahin heißt es abwarten. Vielleicht aber auch aufatmen, denn in Brüssel galt die gescheiterte Ampel-Koalition in den vergangenen Jahren als schwieriger Partner. Mit dem „German Vote“, der Enthaltung, hat sich die Ampel-Koalition in den vergangenen Jahren mehrfach vor heiklen Entscheidungen gedrückt – wie bei den beiden Abstimmungen zum EU-Lieferkettengesetz und den Abgasregeln für Lkw.
Dramatische Verschuldung in Frankreich
Auf dem Brüsseler Parkett bei EU-Gipfeln oder im Weißen Haus wird Frankreich von Staatspräsident Emmanuel Macron vertreten, doch für den politischen Alltag in den EU-Ministerräten ist die Regierung von Premierminister Michel Barnier von den konservativen Les Républicains (LR) entscheidend. Präsident Macron hatte den 73-jährigen LR-Politiker nach den vorgezogenen Parlamentswahlen im Sommer ernannt, weil sein eigenes Parteienbündnis abgestraft wurde. Doch auch gemeinsam haben Präsidentenallianz und LR keine Mehrheit in der Nationalversammlung.
Und nicht nur das: Nach gut zwei Monaten im Amt haben die Partner immer noch kein verbindliches Regierungsprogramm. Es knirscht regelmäßig in der Zusammenarbeit zwischen den Parteien.
Dass der Haushalt 2025 nun in der Nationalversammlung gescheitert ist, könnte dem Premierminister allerdings helfen. Denn nun kommt nicht der veränderte Entwurf in die zweite Parlamentskammer, sondern der ursprüngliche Entwurf der Regierung.
Die Kürzungen bei Sozialleistungen, in der öffentlichen Verwaltung – insgesamt gut 60 Milliarden Euro Einsparungen für das Haushaltsjahr 2025 – dürften es im konservativen Senat leichter haben als in der Nationalversammlung. Die Notwendigkeit eines Sparkurses ist dort weniger umstritten. Im Juni hat die EU-Kommission wegen der hohen Schuldenlast ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet. Auch die Ratingagenturen haben das Land im Blick. Mit einem Defizit von sechs Prozent des BIP in diesem Jahr und einem Schuldenberg von 113 Prozent des BIP ist die Haushaltslage dramatisch.
Nach der Vertrauensfrage ist vor der Misstrauensabstimmung
Kurz nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz am 16. Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage stellen wird, könnte sich auch das Schicksal seines französischen Amtskollegen entscheiden. Nach aktuellem Zeitplan soll der französische Haushalt 2025 in der letzten Woche vor Weihnachten den paritätisch besetzten Vermittlungsausschuss beider Parlamentskammern verlassen. Im Anschluss muss die Nationalversammlung endgültig entscheiden.
Es ist durchaus möglich, dass die französische Regierung angesichts einer drohenden Niederlage auf einen speziellen Verfassungsartikel zurückgreift, um den Haushalt ohne finale Abstimmung zu verabschieden. Setzt die Regierung auf Artikel 49.3, hat die Opposition 24 Stunden Zeit für einen Misstrauensantrag. Erhält dieser eine Mehrheit, muss die Regierung zurücktreten und der Haushaltsentwurf wäre gescheitert.
Politik auf kleiner Flamme
Sollte es zu diesem Szenario kommen, wären die beiden größten Volkswirtschaften der EU mit einer vorläufigen Haushaltsführung an der Schwelle zu einem entscheidenden Jahr politisch gelähmt. Diese Haushaltsführung ist in beiden Ländern auf gesetzlich vorgeschriebene und bestehende Verpflichtungen beschränkt und soll lediglich die Grundfunktionen des Staates absichern. Gehälter, Renten und Sozialleistungen werden finanziert – politische Projekte jedoch bleiben auf Eis.
Ein Antrittsbesuch von Premierminister Barnier in Berlin ist übrigens bislang nicht erfolgt. Womöglich kommt es dazu zum ersten Mal in der Geschichte der V. Republik auch nicht mehr.