Noch sucht Michel Barnier die Minister für seine Regierung, doch was sich in Frankreich ändern soll, hat der neue französische Regierungschef bereits angekündigt. Ganz oben auf der Prioritätenliste des 73-Jährigen steht die irreguläre Migration. „Man hat den Eindruck, dass die Grenzen durchlässig sind wie ein Sieb – und dass die Migrationsströme nicht unter Kontrolle sind. Das werden wir ändern“, sagte Barnier in seinem ersten Fernsehinterview nach seinem Amtsantritt vergangene Woche.
Die Umsetzung einer verschärften Einwanderungs- und Asylpolitik könnte dann nicht nur ein neuer Innenminister übernehmen. Französischen Medienberichten zufolge plant Barnier sogar ein eigenes Ministerium für „Immigration, Integration und nationale Identität“. Ein solches Ressort wäre das politische Signal, dass sich der Konservative Barnier von „Les Républicains“ (LR) zumindest in dieser Frage an der Präsidentschaft seines Parteifreundes Nicolas Sarkozy (2007 bis 2012) orientiert.
Sarkozy, der vor zwei Jahrzehnten mit seiner Ankündigung, „die Vorstädte mit dem Kärcher zu säubern“, auch im Ausland für Schlagzeilen sorgte, hatte 2007 als Staatspräsident erstmals ein solches Ministerium geschaffen. Es war Teil seines verschärften Migrationskurses – mit dem war es Sarkozy zwischenzeitlich gelungen, den Aufstieg der extrem rechten Partei Front National (FN) zu stoppen.
Abhängigkeit von Marine Le Pen
Heute sitzt der ehemalige FN, inzwischen in Rassemblement National (RN) umbenannt, Präsident Emmanuel Macron im Nacken. Bei den Europawahlen wurde der RN mit von Marine Le Pen mit 31,4 Prozent mit Abstand stärkste französische Kraft in Brüssel. Auch bei den vorgezogenen französischen Parlamentswahlen im Sommer gewann die Partei etliche Mandate hinzu. Macrons Bündnis dagegen brach regelrecht ein. „Michel Barnier ist auf die Stimmen des RN im Parlament angewiesen, wenn seine Regierung überleben soll“, sagt Jacob Ross, Frankreich-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Dass Marine Le Pen – anders als die ebenfalls erstarkte vereinigte Linke – keine Eile hat, im Parlament einen Misstrauensantrag gegen Barnier zu stellen, dürfte auch mit der Aussicht auf eine weiter verschärfte Asyl- und Migrationspolitik zusammenhängen. „Barnier hat in der Vergangenheit mehrfach betont, dass er im Brexit eine Antwort auf den Kontrollverlust der nationalen Politik sieht. Er befürchtet, dass, wenn sich an der Einwanderungspolitik in Europa nichts Grundlegendes ändert, dies langfristig das gesamte europäische Projekt in Frage stellt“, so Ross.
Wahlkampf mit dem Thema Zuwanderung
Um diese Entwicklung zu verhindern, setzt Barnier auf eine verschärfte Einwanderungspolitik. Details hat der neue Regierungschef zwar noch nicht bekannt gegeben, aber sein Wahlkampf vor drei Jahren für die Präsidentschaftskandidatur von LR gibt Hinweise auf das, was von ihm zu erwarten ist.
Damals machte sich der frühere Außenminister für beschleunigte Asylverfahren stark, forderte Einschränkungen beim Familiennachzug und dachte laut darüber nach, die Aufnahme von Asylbewerbern vorübergehend zu stoppen, möglicherweise für mehrere Jahre. Selbst Verfassungsänderungen schienen kein Tabu zu sein, um im Zweifelsfall nationales Recht über EU-Recht zu stellen. Die Maßnahmen sollten dem Ziel dienen, die nationale Souveränität in der Migrationspolitik wiederherzustellen und die Integration der Einwanderer zu fördern. Präsidentschaftskandidat wurde er damit gleichwohl nicht.
Die nötigen Stimmen des RN im Parlament für entsprechende Verschärfungen dürften ihm zwar sicher sein, ansonsten trennen Barnier und Le Pen politisch jedoch Welten. Barnier gilt als Mann der Mitte, der das europäische Integrationsprojekt und die EU-Institutionen nicht grundsätzlich in Frage stellt. Le Pen will Frankreich zwar nicht mehr wie früher aus der EU führen, die Beziehungen zu Brüssel will sie aber radikal ändern.
Härtetest für Macrons Partei
In der Nationalversammlung kann sich Barnier lediglich auf die weniger als 50 Abgeordneten seiner Partei und die Präsidentenallianz stützen. Die beiden Lager hatten sich trotz der Oppositionsrolle von Barniers LR bereits 2023 auf eine Verschärfung der Migrationspolitik geeinigt. Das führte damals allerdings zu Spannungen im Macron-Lager, das zunächst auch viele linke Politiker angezogen hatte. Die Reform im vergangenen Jahr sah unter anderem jahrelange Wartezeiten für den Zugang zu Sozialleistungen für bestimmte Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten vor.
Zahlreiche Verschärfungen wurden jedoch kurz darauf vom Verfassungsrat verworfen. Teils, weil das Gericht in einzelnen Paragraphen Verstöße gegen die Verfassung erkannte, teils wegen Verfahrensfehlern. So kippten die Richter die Regelung, dass die Nationalversammlung eine Obergrenze für die Aufnahme von Migranten festlegt, mit dem Hinweis auf einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung. Verfassungskonform könnte eine Obergrenze dennoch sein.